Wenn es langsam Richtung Herbst geht, fallen uns Strukturen viel schneller auf und an Stelle der bunten Blumen tritt die Vielfalt der Samenstände, getrockneten Gräser und Blätter. Eine faszinierende und inspirierende Welt, die nicht minder schön, aber geheimnisvoller und tiefsinniger wirkt als der fröhliche Sommer. Und die für neue Anregungen sorgt: zum Beispiel, wenn holzige Stängel, Nadeln, Grashalme und Samenpuschel zu natürlichen Pinseln und Schreibfedern werden.
Bei diesem Kreativ-Projekt kann man nach Herzenslust experimentieren und Fundstücke aus der Natur auf Schreib- und Kalligrafietauglichkeit prüfen. Manches ist nur für den Augenblick gedacht, aber das macht Schriftzüge und Zeichnungen umso einzigartiger. Und wer möchte, kann sogar seine eigene Pflanzentinte verwenden. Eine Anleitung für Tinte aus Walnüssen gibt es hier

Die Kapseln von Nachtkerzen
In jeder Kapsel der Nachtkerze (Oenothera biennis) sitzen bis zu 200 Samen. Anfangs sind sie noch grün, dann trocknen sie ein, springen auf und die Samen verteilen sich, um im nächsten Jahr neue Pflanzen zu bilden. Übrig bleiben die Samenstände an den hohen Stängeln, die so stabil eintrocknen, dass sie oft bis weit ins nächste Jahr auf den Wiesen stehenbleiben. Beim Aufplatzen bilden sich aus jeder Kapsel 4 Seitenteile, deren Spitze sich nach außen wölbt, und genau diese Viertel kann man heraustrennen und mit feiner Kordel, Garn oder Draht an einen kleinen Stock wickeln. Jede Seitenwand hat eine andere Form, es lohnt sich tatsächlich mehrere „Federn“ auszuprobieren, weil die jeweilige Größe und Neigung sehr unterschiedliche Ergebnisse hervorbringen kann.
Mit der breiten Spitze können, wie bei der Platten- oder Ornamentfeder aus der Kalligraphie, gleichmäßige breite Schwünge aufs Papier gebracht werden.

Zweige und verholzte Pflanzenteile
Es braucht nur ein scharfes Messer, um aus einem kleinen Zweig eine Schreibfeder anzufertigen. Ob man ganz spitz oder mit breiterem Ende zuschneidet, bleibt der eigenen Phantasie überlassen. Auch Effekte, wie z.B. ein Rillenmuster in einer breiteren Spitze oder eine Aussparung in der Mitte, bei der zwei parallele Linien entstehen, sind möglich.
Für das Schreibbild spielt die Biegsamkeit eine entscheidende Rolle. Weiches Holz ist gut für geschwungene Linien, harte Spitzen sorgen für eine kantigere Optik. Holunder und Birkenzweige sind flexibler, verholzte Pflanzenteile, z.B. die eingetrockneten Stängel des Wiesenkerbels oder Bärenklaus eignen sich als feste Spitzfedern. Biegsames Schilfrohr und Bambus sind z.B. im asiatischen Raum bei Zeichnern und Schönschreibern sehr beliebt.

Die Blätter der Birke als Schreibspitze
Hier sind eher die Feinmotoriker gefragt, denn ein wenig Fingerspitzengefühl braucht es schon, um mit Blättern zu schreiben. Die feine Spitze des Birkenblatts ergibt filigrane Linien, gerade weil man sie nur sehr zart auf das Papier aufsetzen kann.
Und so geht’s: Drei möglichst stabile, gleich große Blätter auswählen und ganz leicht versetzt gegeneinander legen. Das unterste dient als Schreibfeder, die anderen beiden stabilisieren das Blatt. Im Frühling und zeitigen Sommer sind die Blätter zu weich, aber im Spätsommer und Herbst haben sie eine gute Textur. Mit feinem Draht, Kordel oder Bindfaden fest um die Spitze eines kleinen Stocks wickeln.

Samenstände
Auch die Acker-Kratzdistel (Cirsium arvense) ist nicht vor unseren Schreibversuchen sicher. Der flauschige Samenstand muss zu einem Zeitpunkt gepflückt werden, an dem er noch fest im Körbchen zusammen gehalten wird. Sobald er sich öffnet, machen sich die Schirmchen davon und das war’s mit dem Projekt.
Und jetzt wird es ein wenig aufwändiger, denn als Pinselkopf müssen sie besonders stabilisiert werden, damit sie bei Druck auf Papier nicht sofort umknicken. Aber die Mühe lohnt sich: sie sehen einfach hübsch aus und man sieht ihnen förmlich die weichen, dichten Tintenstriche an.
Und so geht es:
Schritt 1:
Das Körbchen an der Stelle fest mit Garn umwickeln, an der die weichen Spitzen der Samenschirmchen sich schon zeigen. Verknoten und den Faden länger lassen, so dass man ihn später auch am Griff noch einmal befestigen kann
Schritt 2:
Einen Draht von ca. 2 cm Länge an beiden Seiten mit der Drahtschere anspitzen, indem man ihn schräg abschneidet und ihn bis 1 cm mittig in den als Griff vorgesehenen Zweig bohren
Schritt 3:
Jetzt die obere Drahtspitze vorsichtig in den unteren Teil des Distelkopfes drehen, aber noch etwas Raum für Klebstoff zwischen Distel und Stock lassen
Schritt 4:
Mit einem festen Kleber (z.B. aus der Heißklebepistole) die Distel dann auf den Stock drücken
Den Faden auch noch einmal gut um die Klebestelle und den Zweig wickeln und dort verknoten
Als Alternative kann der Distelkopf auch mit einem stabilen Klebeband am Zweig befestigt werden. Dazu das Körbchen an den Zweig anlegen und kräftig beide Teile umwickeln. Das geht schneller, aber sieht nicht so hübsch aus. Die Pinsel aus Disteln sind sehr zart und eignen sich daher nur für den einmaligen Gebrauch, Auswaschen funktioniert leider nicht.
Mehr Fotos zu kreativen Ideen aus der Natur gibt es bei MAKING MOODS
Und hier geht es zu weiteren Bildern rund ums Thema PINSEL AUS NATURMATERIALIEN
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