Retro geht ja immer. Aber normalerweise muss es stylisch sein und auf keinen Fall zu viel, sonst wirkt es bieder und verstaubt. Im niederländischen Freilichtmuseum in Arnheim schert man sich um solche Stilfragen nicht – zum Glück! Mitten in viel Natur können wir in eine pittoreske Welt der Vorfahren unserer Nachbarn eintauchen, in der selbst das schlichteste Bauernhaus so urig gemütlich eingerichtet ist, dass man einziehen und ab jetzt mit Ziege und Schaf statt WLAN leben möchte.
Das Konzept soll alle Sinne anregen und vor allem Kinder zum Mitmachen motivieren. Die Historie rund um zeitgenössisches Handwerk eignet sich dafür besonders gut. Manuelle Arbeitsschritte, egal ob an der Hobelbank, beim Weben oder Papierschöpfen, stimulieren nun mal auf andere Weise als virtuelles Lernen. Die einzelnen Stationen liegen in dem 44 ha großen Natur- und Waldgebiet teils weit auseinander. Ideal, um nach Anregung an einem Ort auf dem Weg zum nächsten erst mal wieder runterzukommen und das Aufgenommene zu verarbeiten. Auch wieder so eine vergessene Kunst…
Ein wenig erinnert es an den neuen Trend des Waldbadens. Eben nicht nur anschauen, sondern richtig eintauchen und sich auf das Erleben als echte Sinneserfahrung einlassen.
Und es funktioniert!

Färben mit Pflanzen
Man fühlt sich ein wenig wie ein Entdecker. Einige Minuten nur dichtes Grün und Vogelzwitschern auf dem weichen Waldweg, und auf einmal steht man vor einer großen Scheune. Noch ist kein anderer Besucher da und für einen Moment wirkt es, als sei man aus der Zeit gefallen. Jede Bewegung könnte die malerische Szene verschwinden lassen, aber nein – sie bleibt. Getrocknete Büschel hängen an Holzleitern und an einem Tisch sitzen leise plaudernd zwei Damen in historischen Kostümen. Um sie herum jede Menge Wolle in den Regenbogenfarben der Natur und große Gläser, in denen farbenfrohe Alchemie stattfindet.
Das Färben mit Pflanzen ist faszinierend und für unser Bildarchiv MAKING MOODS haben wir schon so einiges ausprobiert und Bildmaterial dazu erstellt. Deshalb war dieser Zufallsfund ein Glücksgriff. Und die anfängliche Scheu vollkommen unberechtigt, denn die beiden Präsentatorinnen ihrer Zunft sind ganz von dieser Welt und haben eine Menge zu erzählen. Jeder Farbstrang hat eine eigene Geschichte und Tipps gab es auch reichlich. Zum Beispiel hat der in den Niederlanden als „Fluitenkruid“ bekannte Wiesenkerbel (Anthriscus sylvestris) direkt mehrere Nuancen weiches Gelb produziert. Als Doldenblütler für Gelbtöne ist die Wilde Möhre ja bekannt, aber dass der Cousin auch so abliefert… Das wird im nächsten Frühjahr sofort ausprobiert!
(„Fluitenkruid“ heißt übrigens übersetzt „Flötenkraut“, und kommt daher, dass aus dem hohlen Stängel früher Pfeifen – eben die zum Flöten – gemacht wurden)
Wegen der Pandemiebeschränkungen wurde eine Zeitlang nicht mehr in Kesseln auf Feuer gefärbt, sondern nur mit Solarenergie. Die beiden Damen waren anfangs erstaunt und dann begeistert, welch kräftige Farbtöne sich ergaben, wenn Wolle mit Zwiebelschalen, Blüten oder Pflanzenteilen in großen Gläsern voller Wasser sich selbst überlassen war. Es brauchte nur Sonne und Geduld. Das Erste gab es dieses Jahr zwar nicht im Überfluss, das Zweite dagegen reichlich und die Ergebnisse können sich sehen lassen.
Wer sich für das Färben mit Pflanzen interessiert, dem können wir einen Besuch nur empfehlen.
Vorsichtshalber aber bitte eine Anfrage an das Museum schicken oder anrufen, wenn man speziell die Färbedamen sehen möchte, denn nicht alle Stationen sind jeden Tag besetzt
Kontakt Freilichtmuseum Arnheim

Garten-Nostalgie
Neben wilder Natur gibt es auch reichlich gebändigtes Grün: an fast jedem Haus den Bauerngarten mit etwas Gemüse und Blumen, im kleinen Städtchen einen Formgarten und Felder mit alten Kulturpflanzen. Nicht zu vergessen: der große Kräutergarten hinter alten Mauern, in dem die Pflanzen, sortiert nach Verwendung, in eckigen Beeten gepflanzt sind. (Übrigens auch hier wieder etwas für die Färber/innen unter uns: ein Teil des Gartens gehört den echten Färberpflanzen.)
Was nicht wild wächst, stammt aus der hauseigenen Gärtnerei mit den malerischen weißen Gewächshäusern, gewaltigen in Form geschnittenen Buchsbäumen und Reihen voller Gemüse und Blumen. Wem Plastik im Garten immer schon ein Dorn im Auge war, der kommt hier ins Schwärmen, wenn er in den Schuppen oder am Arbeitstisch im Gewächshaus wertige alte Gartengeräte aus Holz und Eisen, Pflanzenschilder in Schnörkelschrift und alte Tontöpfe entdeckt. Was war das alles schön früher! Und über die Halbwertzeit kann man sich auch ruhig wieder Gedanken machen, denn die Werkzeuge haben die Zeit überdauert und werden auch weiter von den Gärtnern hier verwendet.
Selbstredend werden alte Blumen- und Gemüsesorten kultiviert, wobei „alt“ sich auf unterschiedliche Zeitspannen bezieht. Denn die einzelnen Häuser und Höfe, die über das gesamte Museum verteilt sind, stammen aus mehreren Epochen und zu jeder wird das entsprechende Grün genauso sorgfältig ausgewählt wie die Inneneinrichtung.

Hand-Werk
Zugegeben, es ist ein wenig heile Welt, viel zu schön um wahr zu sein. Die Härten von damals sind an einem warmen Spätsommertag schwer vorstellbar, wenn man in die hübsch eingerichteten Häuschen schaut und nur kurz der Gedanke aufflackert, ob der malerische kleine Ofen alles war, das bei Eis und Schnee damals wärmte. War er! Abgesehen vom Zusammenrücken und dicken Decken. Und doch juckt der Gedanke, dass es auch schön gewesen sein muss. Jeden Tag ein überschaubares Leben zu führen, in dem in großem Maße mit den Händen und Körpereinsatz Resultate erzielt wurden und nur wenig Einflüsse von außen eindrangen, hat heute einen besonderen Reiz. Waren die Menschen damals zufriedener als wir, die wir soviel Input bekommen können, wie wir wollen und deren größtes Problem zu werden scheint, nicht dauernd abgelenkt und auf Neues gestoßen zu werden? Die Frage nach Gewichtung und Zufriedenheit in seinem Leben kann man sich hier gut stellen, wenn man so tief eintaucht und nah an das Gefühl des anderen Lebens kommt, das nur wenige Generationen entfernt liegt. Vieles wird greifbarer, wörtlich und auch im übertragenen Sinne – getreu nach dem Motto des Openluchtmuseums: „Ein Handwerk lernst du nur richtig, wenn du selber anpackst.“
Bei uns findest du viele Bilder rund um Ideen in, mit und aus der Natur.
Schau gerne mal bei MAKING MOODS vorbei
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